Drachen ° Wesen
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"Da es sehr förderlich für die Gesundheit ist, habe ich beschlossen, glücklich zu sein." (Voltaire)
Aufgrund meines Geburtstages und vor allem Geburtsjahres, bin ich laut chinesischem Horoskop ein Drache, genauer gesagt ein Holzdrache, und ich finde, da ist was dran. Ungeduldig und zuweilen auch ein bisschen stur, aber voll emotional.
Der chinesische Drache gilt glücklicherweise als Glücksdrache. In unseren Breiten allerdings gilt der Drache als Bösewicht, nur konnte ich diese fliegenden Giganten – denn das waren sie in meiner Vorstellung – nie als das absolut Böse hinnehmen. Entweder es ist ein Drache, oder ein Dämon! Drachen konnten zwar furchteinflößend und mächtig sein, aber in ihrem Wesen schien mir die ganze Welt zu schlummern.
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Im Märchen der Gebrüder Grimm "Die vier kunstreichen Brüder" (Audio) verspricht ein König seine Tochter demjenigen zur Frau zu geben, der sie dem Drachen entreißt, denn offensichtlich hat der Drache die Königstochter geraubt. Die vier Brüder, die jeweils gerade ein spezielles Handwerk erlernt hatten, nehmen diese Herausforderung an, um sich ihrer Fähigkeiten in gemeinsamer Anwendung zu vergewissern. Sie rauben nun ihrerseits die Prinzessin und töten den Drachen, der ihnen nachstellt, nachdem er den Verlust der Prinzessin bemerkt, die doch eben noch in seinem Schoß lag, während er schlief. Auf dem Bild, das ich einst dazu gemalt habe, sieht mein Drache bereits aus, wie ein Geist, der die Prinzessin sehnsüchtig umspielt. Wenn man nämlich die (im Märchen nicht beschriebenen) Charaktere jenes Drachen und jener Prinzessin aufmacht, ergeben sich weitere mögliche Wahrheiten.
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Und das Drachenthema verdichtet sich in diesen Zeiten weltweit.
Kürzlich wurde auf "arte" eine wunderbare vierteilige Dokumentationen ausgestrahlt.
Dabei fiel mir deutlicher, als je zuvor auf, dass es auf der einen Seite der Geschichten und Sagen die Verwandlung des Drachen hin zur gefürchteten Schlange gibt und auf der andern Seite die Verwandlung der Schlange über die Weisheit hin zum Drachen.
In der buddhistischen Geschichte von der lebenden Göttin Kwan-Yin begegnet Gin Po-wan der Klippenschlange. Sie ist bei der Bevölkerung bereits gutwillig bekannt und sie wird sich zu einem Drachen verwandeln dürfen durch die Vollendung des letzten Schrittes, nämlich durch die Selektion und somit das Verschmelzen ihrer sieben Perlen hin zu einer.
In der "arte" Dokumentation werden der kanadische Künstler John Howe, der Schöpfer des berühmten Drachen Smaug für Peter Jacksons "Hobbit"-Trilogie, und der Erzähler und Mythenforscher Nicolas Mezzalira begleitet.
Smaug ist der von Tolkien bewusst als "das Böse" eingesetzte Drache. Für die Geschichten von "Herr der Ringe" bedurfte es der Disharmonie, sonst wäre die Welt nicht erklärlich! Der Drache Smaug gilt als überlegen und schaut mit starrem Blick, doch zeigt er sich auch verletzlich. Er ist neugierig. Und Neugierde ist schließlich auch ein Tor zur Weisheit.
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Wie schon erwähnt, tauchen Drachen immer zu Zeiten des Umbruchs auf.
In einem mittelalterlichen Bericht aus der Schweiz geht es um Dracus Helweticus – den Drachen des Pilatusberges. War der Stein, den er mit einer Blutspur auf dem Felde des Bauern verlor etwa seine Perle? Hat er seine Perle verloren? Kehrt sich hier die Wandlung des Drachen um? Zurück in die Schlange? Es ist eine schmerzliche Vorstellung für mich, dass der bereits vollendete Drache wieder instabil werden könne, in Zweifel geriete. Und es wäre sogar nachvollziehbar, kletterte doch der Mensch fordernd und einnehmend höher und höher auf die Berge.
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Dass Drachen in Eiern aus Stein überleben, wird von George Martin in seiner Fantasiewelt "Game of Throns" genutzt. Ich habe weder Tolkiens "Herr der Ringe" noch Martins "Game of Throns" gelesen oder gesehen – abgesehen von Sequenzen im Netz.
Jedenfalls öffnet meine Bilderwelt bei den "Eiern aus Stein" hoch gegriffen die hohen Kuppen der vietnamesischen Landschaft und tief geschaut die megalithischen Steinkugeln Costa Ricas, Neuseelands oder der Arktischen Insel Champ(as).
Was wissen wir schon!
Smaug jedenfalls ist ein geniales Mischwesen geworden. Das Archetypische wohnt ihm gelungen inne. John Howe selbst sagt, Smaug habe schließlich sowohl etwas von einem Dinosaurier als auch von einer Fledermaus und einem Krokodil. Und während die Fledermaus mich kurz an der subtilen Verbindung zum Namen Dracon vorbei flattern lässt, habe ich auf das Krokodil schon gespannt gewartet.
Unter den Wesen nämlich, die in meiner quer gedachte Drachenwelt auftauchen, ist auch Ammit, ja sogar der Vogel Greif. Beide stammen aus der Ägyptischen Mythologie. Der Vogel Greif mit den Klauen des Adlers, der Mähne des Löwen, den Schuppen wie Barben und dem Schweif einer Schlange ist der, über den kein anderer mehr richten kann. Und Ammit? Sie hat das Maul eines Krokodils, die Mähne eines Löwen und das Hinterteil eines Nilpferdes. Sie frisst die Herzen der gestorbenen Menschen, deren Herzen schwerer wiegen als die Feder der Maat. Ich habe sie gemalt und sehe Traurigkeit in ihren Augen.
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Die Mythe um Andromeda in Äthiopien, die von Perseus gerettet wird, der auf Pegasus durch die Lüfte reitend mit dem Haupte der Medusa in Händen das Drachenungeheuer des Meeres versteinert, ist weithin bekannt. Und in der Heiligen-Liga ist es Georg, dessen Ruhm sich vom Mittelmeer aus über die nördliche Hemisphäre ausgebreitet hat. Schließlich hat er dafür gesorgt, dass sich die lokalen Mächte der Christenheit ergaben, indem er zunächst den Drachen zähmte und zur Wahl stellte, das Ungeheuer ansonsten los zu lassen.
Heiligt der Zweck die Mittel?
Die in dieser Zeit des 3. Jh. beschriebenen Drachen sind allermeist scheußliche Mischwesen mit feurigem Atem, scharfen Zähnen, Großkatzen oder Kälbern ähnlich, mit schuppigem Schwanz im Abgang. Und sie fressen Menschen – Männer, Frauen und Kinder gleichermaßen.
Neben Georg machten auch Clemens und Martha von sich Reden: Clemens von Metz (Frankreich) zähmte den Drachen Graoully, um ihn in einer Prozession aus der Stadt heraus zu führen und ihn dort erst unter einem Stein zu versenken.
Und Martha von Bethanien (Jerusalem), die als Christin nach Marseille (Frankreich) gelangte und dort ein Kloster errichtete, hatte der Legende nach den dortigen Drachen mit Namen Tarasque, den kein Mann zu besiegen vermochte, ganz einfach mit Weihwasser und Kreuz gezähmte und ihn gar seinem Bestimmungsort, der Rhône zurück gegeben oder doch zumindest in einer Höhle gehalten. Jedenfalls hat sie ihn nicht getötet.
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Kurzer Seitenblick: Wer hat den Film Avatar gesehen? Epik in voller Breitseite und der Held zähmt die Macht und die mächtigen Tiere verstehen das, als es zur Entscheidung kommt.
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Die Furcht vor dem Bösen ist berechtigt groß. Tolkien hat es im Schützengraben erlebt und doch gebar er daraus ein weltumspannendes Werk.
Gandalf wählt einen kleinen Mann, einen Hobbit. Der Drache bekommt also keinen Kämpfer, keinen halbwegs gleichwertigen Gegner, sondern einen "Wicht" und er ist neugierig: Warum dieser da? Warum ist dieser da und was will er?
Die jeweiligen Charaktere eines Mythen- oder Legenden-Drachen haben ja Entstehungsgeschichte und die sollten ruhig auch berücksichtigt werden.
Im Mythos von Andromeda, der Königstochter Äthiopiens, wird darauf eingegangen.
Um es mit lockeren Worten zu sagen, nutze ich mit freundlicher Erlaubnis die Texte des Dr. J. Georg Friebe:
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Andromeda war von nobler Herkunft. Kepheus, ihr Vater, war Sohn des äthiopischen Königs.
Kassiopeia, ihre Mutter, war eine der schönsten Frauen der Erde. Und sie war stolz und eitel. Sie sei schöner als die Nereiden, verkündete sie lauthals. Kein Wunder, dass sie den Zorn dieser fünfzig schwarzäugigen Schönheiten des Meeres entfachte. Keinem geringeren als dem Gott Neptun klagten die Nereiden ihr Leid. Für ihn bestand kein Zweifel: Seine Schützlinge sind die Schönsten! Und eine Sterbliche, die dies infrage stellte, musste bestraft werden.
Wie immer, wenn Götter zürnen, reagierte auch Neptun mit maßloser Übertreibung. Nicht Kassiopeia selbst musste büßen, sondern ihr Volk. Ein gräuliches Seeungeheuer sandte er aus, um Ufer und Land zu verwüsten.
In der Not wurde das Orakel des Jupiter Ammon befragt. Und wieder traf der Ratschluss der Götter die Falsche. Nicht Kassiopeia, nein, deren Tochter Andromeda sollte dem Ungeheuer geopfert werden. Mit rückwärts gebogenen Armen wurde sie an einen Felsen gefesselt. So sollte sie das Untier erwarten.
Wo immer eine liebreizende Jungfrau von königlichem Geblüt in Gefahr ist, darf auch ein strahlender Held nicht fehlen, der sie errettet. Perseus, der gerade nichts besseres zu tun hat, entdeckte Andromeda in ihrer misslichen Lage. ... Verzweifelt sind die Eltern, doch Perseus bleibt cool. Er wüsste schon einen Ausweg, doch dann müsse die Jungfrau ihm gehören. Dies wird ihm versprochen, und die Hälfte des Reiches als Mitgift dazu.
Und nun weichen die Geschichten ab. Logisch für mich erscheint, dass Perseus auf Pegasus reitet, und nicht die Hermes-Flügel-Schuhe geliehen bekommt. Schließlich ist es ja der von Perseus abgeschlagene Kopf der Medusa, aus dem Pegasus, das geflüglete Pferd, geboren ward, so dass sie auch gemeinsam zu ihrer Mission aufbrechen konnten. Und so geht die eine Version der Mythe weiter:
Aus seiner Tasche zieht er das schreckliche, schlangenbehaarte Haupt der Medusa. Bei dessen Anblick erstarrt das Untier zu Stein. Andromeda ist gerettet.
Perseus hielt sich nicht lange mit Nebensächlichkeiten auf: Jetzt ward das Beilager gehalten (wie der Chronist nüchtern berichtet). Auf die Mitgift verzichtete er. Ein Nebenbuhler, dem Andromeda eigentlich versprochen war, wurde so nebenher auch noch versteinert. Kein Wunder, dass diese ihren Befreier anhimmelte! Perseus entführte sie in seine Heimat, wo sie ihm eine zahlreiche Nachkommenschaft schenkte.
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Wenn für die Eitelkeit so massive Gegenmaßnahme ergriffen wird, scheint die Götterwelt da den größeren Überblick zu haben und gibt uns Menschen zu verstehen, dass wir offensichtlich die Essenz der Perle nicht begreifen.
Und das stimmt wohl! Wir haben es doch versaut und gerade habe ich den Eindruck, wir Menschen versauen es wieder. In wessen Namen ward sich hier und dort erdreistet? Und Fluch liegt schwer auf Mythen und Vertrauen.
Und auch erst seit der "arte" Dokumentation weiß ich, dass Michael Ende seine Geschichten ("Jim Knopf und die Lokomotive Emma" und "Momo" und "Die unendliche Geschichte" mit Fuchur, dem Drachenhund) aus einer Erfahrungswelt schuf, die ähnlich unbeschreiblich Tolkiens war.
Edgar Ende war Michael Endes Vater. Er war ein begnadeter Maler surrealer Welten und das galt im Namen dessen als entartet. Und sie – ich nenne nicht ihren Namen - dachten sich eine perfide Strafe für ihn aus: Die Siegfried Saga "kunstgerecht" auf die Kasernenwand zu malen.
Wenn doch die nordisch-mystischen Welten wieder erlöst sein könnten. Sie sind verzahnt und verzweigt und gehören ins Wurzelgeflecht der Mythen der Welt. Im geo Magazin gab es einst einen Bericht dazu, der resümiert: "Die Nibelungensagen gleichen also mehr einem Echo auf jene historischen Umwälzungen des 5. und 6. Jahrhunderts .. Und womöglich sind sie auch ein Echo eines noch weitaus ferneren Zeitalters: der Antike."
Nachtrag:
In meinen Ohren klingt es nicht gut, wenn die arte doku das "Dumpe", das den Siegfried zunächst einmal charakterisiert, in Richtung "dumm und deutsch" lenkt, anstatt das Dumpe mit dem naiven, unschuldigen Menschen zu assoziieren, wie es aus meiner Sicht im Ursprung angelegt ist.
Warum will immer eine Macht mit der anderen ersetzt werden. Warum wollte Siegfried überhaupt unbesiegbar sein und nicht der Mensch, der er war?
Für mich sind weder Siegfried noch Perseus, noch Georg Helden.
Die heilige Martha und der heilige Michael schon eher, denn sie zähmten ohne Eigennutz.
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Neid und Eifersucht sind ja ebenfalls Eigenschaften, die nicht gerade zur Entfaltung der Weisheit beitragen, aber was soll ich sagen: Traurig bin ich schon, dass das Götterlos nicht mich erwählte als die von "arte" Beauftragte, mal eben nach China zu reisen, um die Drachengeschichten vor Ort zu ertasten. Dankbar allerdings bin ich denn doch über diese Legende, die in Teil drei der "arte" Dokumentationsreihe uns zu Ohren gegeben wurde.
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Huà lóng de yǎnjīng / 画龙的眼睛
Und das heißt soviel wie – zeichne des Drachen Auge.
Es ist ein geflügeltes Wort, so wie "des Pudels Kern".
Sogar das Wort für Feinschliff 画龙点睛 leitet sich daraus ab.
Huà lóng de yǎnjīng – Zeichne des Drachen Augen - paint the eye of the dragon
Die Geschichte handelt zu Zeiten der Liang Dynasty (502-557) von einem Maler bei Hofe, Zhāng Sēngyóu.
Der bekam die Aufgabe, einen besonderen Tempel, der dem Hofstaat vorbehalten war, zu verzieren. Er machte sich an die Arbeit, eine lang dauernde, wunderbare Arbeit, und bemalte vier Pfeiler mit Abbildungen von Drachen.
Der Hofstaat kam und sah sich die Arbeiten an, aber es fehlte Ihnen etwas; es war Ihnen, als wäre die Arbeit nicht vollendet und schließlich bemerkten sie, dass allen Drachen die Pupillen fehlten. Die Augen waren der Form nach da, aber die Pupillen fehlten.
Auf die Frage hin, warum sie fehlten und ob er sie nicht schließlich, endlich malen wolle, sagte Sēngyóu, dass dies Absicht war. Denn würde er die Pupillen malen, würden die Drachen lebendig werden.
Sie spotteten über ihn, machten sich lustig. So ein Narr, was glaubt er denn! "Nun gut", sagte Sēngyóu. Und er fügte zwei der Drachen Pupillen hinzu.
Seine Worte wurden wahr, die beiden Drachen erhoben sich in die Lüfte und entschwanden.
Im wahrsten Sinne ein geflügeltes Wort.
Man kann es auch als Aufforderung zur Verbesserung allen Tuns gebrauchen, indem man sagt: "When you paint the dragon, draw the eye!" Manche Dinge werden erst dann perfekt, wenn das letzte Detail gesetzt ist.
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Der vom chinesischen Kaisergeschlecht vereinnahmte Drache war ein stark reglementierter, in Form und Größe und Farbe definiert und er hatte fünf Krallen.
Er, nur er, der kaiserliche, also göttliche Drache, durfte diese fünf Krallen aufweisen. Für ein Vergehen galt die Todesstrafe.
Diese fünf Krallen als das Besondere bringen mich schon wieder auf Märchen-Abwege. Ich denke an "Das arme Hühnchen Püchu Achawall, das Marinamun genannt wurde" (Audio). Die fünfte Zehe war etwas Besonderes. Bevor das Hühnchen das jedoch erfahren durfte, musste es einigen Mut aufbringen und ihren Alka Achawall finden.
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Zurück zur kaiserlichen Drachenmacht und auch gleich wieder weg von ihr, denn sie ist nicht mehr und sollte auch nicht wieder angestrebt werden – denn das wäre Abkehr von kollektiver Weisheit.
In den asiatischen Volksgeschichten war der Drache durchaus Formveränderungen unterworfen und vor allem stellte er sich als Schnittstelle von Mensch- und Geisterwelt dar. Wie vielerorts, wurde er mit Wasser, Regen und Meer in Verbindung gebracht.
Meine Querverbindung landet auf diese Weise auch bei der japanischen Geschichte von "Ame no tanabata hime". Darin wird die Prinzessin der 17 Klafter langen Schlange zur Frau gegeben, die sich als Junior-Drachengott des Meeres entpuppt. Allerdings weist diese Legende ebenfalls große Ähnlichkeiten mit Amor und Psyche auf.
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Ich sag’s ja immer wieder: Oh du verrückte Götterwelt.
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Dem Volksdrachen Chinas gibt man eine Entwicklungszeit von 3.000 Jahren.
Im ersten Jahrtausend ist er 500 Jahre lang in einem Steinei, genauer gesagt wohl in einem Ei aus Edelstein. Aus diesem Stein schlüpft dann die Wasserschlange und braucht weitere 500 Jahre, bis ihr ein Karpfenkopf wächst. Dass ich dabei an all die Märchen mit dem wissenden und helfenden Karpfen denke, versteht sich von selbst.
Dann wachsen dem Karpfenkopf ein Bart und dem Körper die Schuppen. Und dann wachsen auch Adlerklauen und es wachsen ihm Ohren, aber er kann damit nichts hören.
Wenn dann aber das Hirschgeweih gewachsen ist, kann er mit ihm gleich ganz und gar ins Universum lauschen und zum wahren Glücksdrachen werden. Dann trägt er auch die heilige Perle – auf dem Kopf am Fuße des Geweihs, oder im Maul.
Auch die Tigerskulpturen in den chinesischen Gärten haben ja die Perle häufig im Maul. Tiger und Drache gehören durchaus in gemeinsame Sphären, aber das soll hier nicht Thema sein.
Das Hirschgeweih auf dem Kopf des asiatischen Drachen habe ich vor der "arte" Dokumentation tatsächlich nicht beachtet, ich hatte es schlichtweg immer übersehen. Ad hoc fällt mir die keltische Gottheit Cernunnos (Kernunnus) ein. Er ist derjenige, der die Weltenschlange mit der einen Hand in Zaum (und somit Welt und Natur in Balance) hält und in der anderen Hand einen solchen, gleichen Torques hält, wie er ihn bereits um seinen Hals trägt. Da immer wieder auch eine Hirschkuh mit gleichem Geweih ganz in seiner Nähe abgebildet ist, sehe ich in ihr die weibliche Naturgottheit an seiner Seite. Aber das ist bereits meine ureigene, intuitive Deutung, denn Hirschkühe haben für gewöhnlich kein Geweih, bis auf eine: Die Kerynitische Hirschkuh, die mit dem goldenen Geweih.
Das alles führt meine kreuz und quer verdrahtete Märchenwelt nicht nur zur griechischen Jagdgöttin Artemis sondern auch zur "Huldr Saga" (Audio) und zu einem wunderschönen Märchen der Eskimos, das da heißt "Die Winterfrau" (Audio).
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Nun aber flugs wieder zurück zum asiatischen Drachen. In den Volkserzählungen hieß es eben auch, er hätte Hörner gehabt, oder den Kopf eines Pferdes, dann wieder Fischkopf und Schuppen, Tierkörper und Adlerklauen und schließlich Schlangenkörper, Perle und Hirschgeweih.
Mir gefällt die Metapher des Hirschgeweihs als Hörorgan ins Universum. Und mir gefällt, dass der Drache, dieses Wesen der großen Balance an der Schnittstelle von Mensch und Natur, die Perle trägt.
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Nun! Das eine Märchen, in dem die Schlange zum Drachen wird, möchte ich zum Besten geben und zwar "Die Geschichte von der lebenden Göttin Kwan Yin"
Vor langer Zeit lebte in China ein junger Mann namens Chin Po-wan. Dieser Name passte gut zu ihm, denn Chin heißt Gold, Po heißt 100 und wan heißt Zehntausendmal.
Tatsächlich hatte Chin Po-wan so viele Goldstücke, dass er sie nicht zählen konnte.
Er gab auch reichlich davon aus, aber nicht viel für sich selbst. Er gab den Armen und Bedürftigen und das machte er solange, bis er selbst ein armer Mann war. Doch selbst dann, als er nur noch eine Schale voll Reis hatte, gab er einem Bettler die Hälfte davon und fragte sich: "Wie kann es sein, dass ich diesem armen Mann nicht mehr geben kann? Wieso bin ich jetzt zu arm, um zu geben, ich möchte geben und ich gab immer, was ist falsch daran!" Diese Frage beschäftigte ihn und schließlich beschloss er, zur Südküste zu gehen, denn dort war die lebende Kwan-Yin. "Kwan-Yin kennt die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft", dachte er. "Sie kann mir meine Frage bestimmt beantworten."
Also machte er sich auf den Weg und bald kam er an einen reißenden Fluss, den er überqueren musste, um weiter in den Süden zu gelangen. So stand er auf einem Felsen und überlegte, da hörte er eine tiefe, donnernde Stimme: "Sage deinen Namen und sage wohin dich dein Weg führt!" Chin-Po-wan antwortete und sah sich dabei um, woher wohl die Stimme kam und da sah er über sich auf der Klippe eine riesige Schlange, so dick wie eine Tempelsäule und mindestens doppelt so lang. Schon bekam er Angst, aber die Schlange sprach: "Chin Po-wan, da du zur Göttin Kwan-Yin gehst, würdest du ihr bitte eine Frage für mich stellen?" Erstens hatte Chin Po-wan noch nie eine Bitte abgelehnt, zweitens war sie eine mächtige Schlange und drittens wusste er, dass die Göttin jedem, der zu ihr kommt, drei Fragen beantwortet. Also sagte er: "Ja!" - "Frage die Göttin bitte, warum ich mich noch nicht in einen Drachen verwandelt habe, obwohl ich mich schon seit tausenden Jahren in Selbstbeherrschung und Freundlichkeit übe." Po-wan hoffte, sie würde sich auch weiterhin in Selbstbeherrschung und Freundlichkeit üben und ihn nicht auffressen und er sagte: "Ja, das werde ich sie fragen, aber ich weiß nicht, wie ich über den Fluss gelangen soll." "Das ist kein Problem! Setz dich auf meinen Rücken!" sagte die Schlange. Und so gelangte Po-wan auf die andere Seite, bedankte sich und setzte seine Reise fort.
Am Abend kam er an ein Gasthaus und bat um eine Schale voll Reis. Die bekam er und er unterhielt sich mit dem Gastwirt über die Schlange: "Ach, die Schlange ist uns allen wohl bekannt. Wir nennen sie die Klippenschlange und mögen sie sehr, denn sie hält Banditen und böse Menschen fern! Wohin führt dich dein Weg?"
Und als der Gastwirt erfuhr, dass Chin Po-wan auf dem Weg zur lebenden Kwan-Yin war, da bat er: "Könntest du ihr eine Frage für mich stellen. Ich habe eine Tochter, sie ist wunderschön, gutherzig und klug, aber sie hat in ihren 20 Jahren noch kein einziges Wort gesprochen, warum ist das so?"
Bo-wan versprach, diese Frage zu stellen und sagte: "Mach dir keine Sorgen, ich bin sicher, alles wird gut!"
So wanderte er weiter und fand am nächsten Abend kein Gasthaus, aber ein großes, reiches Anwesen. Dort klopfte er an die Tür und bat um Obdach und um eine Schale voll Reis. Der reiche Mann ließ ihn ein und bewirtete ihn auf das köstlichste und bot ihm einen guten Schlafplatz, so dass Chin Po-wan sich am nächsten Tag vollkommen ausgeruht fühlte. Der reiche Mann fragte nun, wohin ihn sein Weg führe und als er hörte, er sei auf dem Weg zur schönen Göttin der Gnade und Freundlichkeit, da sagte er: "Oh, bitte, kannst du ihr eine Frage für mich stellen? Ich habe so ein prächtiges Anwesen und ich kümmere mich gut darum, aber mein Garten – egal, was ich auch mache, kein Baum trug je eine Blüte, nie wuchs auch nur eine einzige Blume, also sind auch keine Vögel und keine Bienen da. Kannst du sie bitte fragen, warum mein Garten ein so trauriger Ort ist, obwohl ich unermüdlich versuche, ihn zu beleben?"
Chin Po-wan wollte diese Bitte sehr gern erfüllen und versprach, die Frage zu stellen.
So brach er auf, ging weiter in den Süden und während er dem Ziel immer näher kam fiel ihm auf, dass er ja eine Frage für die Schlange, eine Frage für den Gastwirt, eine Frage für den reichen Mann und … ja, es war eine Frage zu viel! Wie er es auch drehte und wendete – es war eine Frage zu viel! Wenn er nun seine eigene Frage nicht stellen würde, hätte er die Reise umsonst angetreten, würde er aber die anderen Fragen nicht stellen, dann wären nicht nur die anderen Drei sehr enttäuscht, nein, er Chin Po-wan, hätte sein Versprechen nicht gehalten. So ging er eine Weile in Sorge weiter, aber dann kam das Glück zurück in sein Gemüt und er dachte: "Die Reise ist nicht umsonst! Wenn ich meine eigene Frage nicht stellen kann, dafür aber drei Andere glücklich machen kann, dann ist alles gut!"
Nun fragte er Einheimische nach dem Weg und schließlich stand er der lebenden Kwan-Yin gegenüber. Sie war wunderschön und strahlte so viel Freundlichkeit aus! In ihrer Gegenwart fühlte er sich so sanft und leise stellte er seine Fragen:
"Warum hat sich die Klippenschlange noch nicht in einen Drachen verwandelt, obwohl sie sich doch schon seit tausend Jahren in Selbstbeherrschung und Freundlichkeit übt?"
Die Göttin antwortete: "Auf dem Kopf der Schlange befinden sich sieben Perlen. Wenn sie sechs davon entfernt, wird sie ein Drache sein."
"Vielen Dank, meine Herrin", antwortete Po-wan. "Und hier ist meine zweite Frage. Da gibt es einen Gastwirt, dessen Tochter in ihren 20 Jahren noch kein einziges Wort gesprochen hat, warum ist das so?"
"Das liegt an Begebenheiten in ihrem früheren Leben. Sobald aber ihr Blick auf den Mann fällt, den sie heiraten möchte, wird sie sprechen."
"Vielen Dank, meine Herrin", antwortete Po-wan. "Und hier ist meine dritte Frage. Es gibt da einen reichen und gütigen Mann, dessen Garten einfach nicht gedeihen will, obwohl er unermüdlich daran arbeitet, ihn zu beleben. Was kann er tun?"
"Einst wurden in seinem Garten sieben Töpfe mit Schätzen vergraben. Wenn er sie hebt, werden Blumen blühen und Bäume Früchte tragen."
Chin Po-wan dankte respektvoll, verbeugte sich und zog sich zurück. Dabei lächelte sie ihn an und das erfüllte sein Herz mit einer unfassbaren Wärme.
Po-wan setzte sich unter einen Baum und schrieb alles auf, damit er es nicht vergesse, dann aber machte er sich schleunigst auf den Rückweg.
Der reiche Mann war verwundert über die Antwort. Er, der doch reich war, hatte weitere Schätze in seinem Garten, aber der eigentliche Schatz, der Garten, blühte nicht. Er suchte sofort die sieben Töpfe und gab sechs davon zum Dank an Chin Po-wan.
Der reiste nun weiter und kam an das Gasthaus. Schon von weitem sah ihn die Tochter des Gastwirtes und sie rief ihm zu: "Chin Po-wan, du bist zurück, was hat die Göttin gesagt?" Die beiden jungen Leute waren verliebt, sie war genauso wunderschön und klug und gütig, wie der Gastwirt es beschrieben hatte und so gaben sie sich das Ja Wort und reisten nun gemeinsam weiter.
Sie kamen an den reißenden Fluss, wo die Klippenschlange schon ganz aufgeregt auf Antwort wartete. Als sie hörte, sie müsse sich sechs von den sieben Perlen auf ihrem Kopf entfernen, da wählte sie sorgsam und gab die Perlen, eine nach der anderen in Chin Po-wans Hände. Sie wurde zu einem stattlichen Drachen mit einer einzigen, strahlend hellen Perle auf dem Kopf.
Natürlich flog der so neugeborene Drache voll ausgelassener Freude über diese neu gewonnene Fähigkeit, fliegen zu können die Beiden mitsamt den Schätzen über den Fluss und noch ein Stück weiter.
Und so kam Chin Po-wan heim und war wieder so reich, wie es seinem Namen entsprach und hatte eine kluge Frau an seiner Seite. Gemeinsam wussten sie, wie sie mit dem Reichtum dauerhaft viel Gutes erreichen konnten.
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Kwan Yin, die schöne Göttin der Gnade und der Freundlichkeit
Sie wird durchaus mit der Jungfrau Maria der christlichen Tradition verglichen. Aber sie ist eine Bodhisattva, eine lebende Göttin des Buddhismus, ein Wesen, welches bereits erleuchtet ist, aber den Eingang ins Nirvana für 1.000 Jahre zurückstellen darf, um auch andere auf dem Weg zur Erleuchtung zu begleiten. Das Nirvana erreichen bedeutet soviel, wie den ewigen Kreislauf der Reinkarnationen und damit das Leiden zu überwinden und frei von Karma zu sein, ohne Bewertung, ganz im TAO.
Besonderes Anliegen der Kuan-Yin sind die Frauen und die ankommenden Seelen der Kinder.
Man sagt, Kuan-Yin lebte als Tochter eines Fürsten in China und begab sich gegen den Willen und die Verbote ihres Vaters in die Gesellschaft des armen, gemeinen Volkes, denen Sie Nahrung, Liebe und Obdach - doch vor allem - Selbstliebe und Selbstannahme gab.
Als eine der irdischen Formen von Kuan-Yins gilt die Königstochter Miau-Schan, d.h. "wundersame Güte". Die Königstochter Miau-Schan lebte etwa im 3. Jahrhundert v.Chr. und sie zog ein kontemplatives Leben dem Glanz bei Hofe vor.
Die Abbildungen Kuan-Yins zeigen sie mit den Perlen der Erleuchtung und mit Flaschen oder Vasen, worin sich das heilende Wasser befindet, das jedes Ungleichgewicht ausbalanciert. Außerdem wird sie oft mit einem Drachen gezeigt, ein altes Symbol für Klugheit, Transformation, Stärke und auch Schutz.
Kuan Yin erwartet weder Anbetung noch aufwändige Rituale. Es genügt ihr, wenn sie um Hilfe gebeten wird; dann ist sie da.
"Was immer Dich belastet: Bitte Kuan Yin, Dir beizustehen und Du wirst ihre Gegenwart erfahren. Das ist ihr Versprechen an die Menschheit."
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kürzlich auf arte gesendete vierteilige Dokumentation "Drachen"
arte Mediathek
Wikipedia
Kerynitische Hirschkuh
Clemens von Metz
Margareta von Antiochia
Merlin
Voltaire
Dr. J. Georg Friebe
Perseus und Andromeda
weitere Quellen
Heiligenlexikon
geo-Epoche
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