Rot bleibt in Erinnerung
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Sucht man LUST zu definieren, ist Rot kein Teil der Begriffsbestimmung. Und sind denn LUST und LEID unweigerlich auf einer Skala? Ich würde APATHIE dagegen halten und dem LEID die FREUDE. Ich will wohl in den Märchen stöbern, vielleicht finden sich da Antworten.
Yo ..
Seit das Thema der Märchentage ausgegeben wurde, "Die purpurrote Blume – Märchen von Lust und Leid", habe ich aufgehorcht: Was ist Lust? Wann denke ich dieses Wort?
Ich habe auch Leute befragt, was sie darunter verbuchen. Und die Antworten waren recht banal: Die Lust am draußen sein in der Natur, die Lust am Musik hören, die Lust, zu essen, Lust auf einen Chicken Döner oder Torte, Lust auf Kino ..
Lust auf etwas haben ist Vorfreude, allerdings eine unglaubliche, eine besondere, eine, von der man in Erwartungshaltung tritt. Und die Lust selbst? .. nun was? Ein kleines Feuerwerk, eine Art Genugtuung, Erfüllung, ein Orgasmus?
Meine Tarot-Karte für dieses Jahr (und da oute ich mich; ich mag tatsächlich Tarot Karten und diesbezüglich schaue ich mir dann achtsam das Jahr an) war die Kraft- oder auch Lustkarte. Das ist die, auf der eine Dame den Löwen reitet, ihn sozusagen gezähmt hat und das auch genießt.
Die Karte steht für die Schönheit und die Kraft, die wir in uns tragen und die in unseren Fähigkeiten und Talenten zum Ausdruck kommen.
Und so ist es.
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Doch "Rot bleibt in Erinnerung" heißt es hier in dieser Ausstellung und "Die purpurrote Blume" heißt es auf dem Programmheft der Berliner Märchentage. Und das ist durchaus der Titel eines Märchens, wie man es sich in Russland erzählt, und nicht nur da - aber darauf kommen wir noch.
Die purpurrote Blume
In einem Zarenreich, in einem Staat zugleich lebte einst ein Kaufmann, ein reicher Kaufmann, vor allem aber ein guter Vater. Drei Töchterlein fein, drei holde Mägdelein, von denen die Jüngste die schönste war, waren sein und er liebte sie wahrlich mehr als seinen Reichtum. Er war verwitwet und keine Frau der Welt konnte er mehr lieben als die, die einst da war und ihm die Töchter gebar.
Nun, wie es eines Kaufmanns Sitte war, musste er wieder einmal eine längere Handelsreise antreten und wie es seine Gewohnheit war, rief er seine Töchter zu sich und sprach:
"Ihr lieben, ihr holden, ihr anmutigen Töchterlein mein .." .. er müsse auf Reisen gehen und sie sollten schön sittsam sein und friedlich miteinander! Nun, dafür sollten sie auch belohnt werden und eine jede solle sagen, was sie sich wünsche. Drei volle Tage und drei volle Nächte hatten sie Zeit, sich ihren Wunsch zu überlegen.
Zugegeben – die Töchter waren anscheinend sehr verwöhnt, denn Wunsch Nr. 1 war eine goldene Krone von sanftem Leuchten des Mondes, von strahlendem Schein der Sonne, eine Krone, die mit ihrem Glanz die dunkle Nacht erhellt, als sei`s lichter Tag. War die Tochter vielleicht gar nicht nur verwöhnt, sondern auch welterfahren und hatte Wind davon bekommen, dass es da im fernen Orient Götter gegeben haben soll, die mit Lichtkronen durch die Gegend gelaufen waren? .. Mhh ..
Wunsch Nr. 2 war ein Spiegel aus feinstem orientalischen Kristall, in den man blicken könne und darin zum einen alle Schönheiten unter dem weiten Himmel schauen könne, und vor allem nie altere, sondern dass die jungfräuliche Anmut noch holder erblühe. Das klingt für mich nach einem Blick auf die Seiten eines Schönheitschirurgen und anschließender Anwendung eines holistischen Faceliftings.
Erst Wunsch Nr. 3 schien wieder normal zu sein - der kam von der jüngsten, der schönsten, der liebsten Tochter des Kaufmanns. "Schenke mir das rote Blümelein, wie es kein schöneres gibt auf der Welt." Autsch! Der Kaufmann wusste, dass dies der schwerste Auftrag war, denn die anderen zwei konnte er mit Geld und Beziehungen bekommen, aber das rote Blümelein, wie es kein schöneres gibt auf der Welt ..
Nun, seine Reise in die fremden Länder begann und er verkaufte zum dreifachen Preis und kaufte zum halben. Er tauschte Waren gegen Werte und belud die Schiffe mit Schätzen und sandte sie heim.
Und er fand auch das Geschenk für die erste Tochter, die Lichtkrone.
Und auch das Geschenk für die Zweite,den Schönspiegel.
Doch das Geschenk für die Jüngste fand er noch nicht.
Während Krone und Spiegel schon auf den Schiffen gen Heimat fuhren, suchte er weiter nach dem roten Blümelein. Und da wurden seine getreuen Diener und er von Wegelagerern überfallen und er floh in die finsteren Wälder. Er irrte umher und je weiter er kam, desto breiter wurde der Pfad, als wichen die Sträucher und Bäume vor ihm zurück - zu seiner Linken und seiner Rechten aber waren knorrige Bäume so verknotet, dass nicht ein Hase durch dieses Wurzelwerk hindurch gelangt wäre. Er ging einen ganzen Tag bis in die Nacht und in der dunkelsten Stunde, da sah er fern ein Feuer lodern und dachte: "Das wird mein sicherer Tod!"
Und er drehte sich um, aber da war der Weg fort. Und als er stehen blieb, kam das Feuer näher. Und so ging er entschlossen weiter, denn es war doch ein Wunder, egal, wie es ausgehen würde. Und da kam er an, an einer taghellen Lichtung mit einem Schloss, das strahlte wie die goldene Sonne und blendete die Augen schier. Alle Fenster standen offen und liebliche Musik tönte heraus, wie er sie noch nie gehört hatte.
Flache Brunnen und Blumenrabatten säumten seinen Weg zur Treppe und er ging zögerlich hinauf und trat in das erste Gemach - von dort in das zweite, das dritte .. das zehnte, doch alle waren leer – prunkvoll ausgestattet, aber leer, also kein Lebewesen da, nur die Musik tönte fort und er dachte: "Ich habe Hunger!" Da stand unversehens ein reich gedeckter Tisch vor ihm .. natürlich aß er, was hättet ihr gemacht? Die Speisen waren auserlesen und er war doch schon so lange durch die Wüsten und Wälder geirrt auf der Suche nach dem roten Blümelein.
Er hätte sich so gern bedankt für Speis und Trank doch, es war Niemand da, nur die Musik, und er .. war müde und schon stand ein Bett für ihn bereit.
Am nächsten Morgen erst wachte er aus seinen Träumen auf. Es ward ihm schwer, denn er sah im Traum seine ältesten Töchter froh und glücklich sein, denn sie hatten Freier gefunden und rüsteten zur Heirat - auch ohne des Vaters Segen! Nur die Jüngste wollte nichts von Hochzeit hören, bevor nicht der Vater heimgekehrt wäre. Das stimmte ihn froh und traurig zugleich.
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Er wollte zurück, aber dieser Wunsch erfüllte sich nicht, wie der gedeckte Tisch und das gemachte Bett.
Es lagen frische Sachen für ihn bereit und ein kühler Trunk stand auf dem Tisch. Auch sprudelte Wasser in eine Schale und daneben lag ein Tuch. Nach der Morgentoillette ging er in den Garten. Eine grüne Marmortreppe führte hinein.
Der Kaufmann sah sich um, war auf der Suche nach dem Besitzer und Gönner.
Und dieser wilde Garten entpuppte sich als weitere unermessliche Schönheit an Pflanzen und Früchten und Düften. Hier waren Lebewesen! Exotische Vögel flogen hin und her, sangen und kreischten, je nach Größe und Gemüt. Wasserspiele und munter sprudelnde Bäche begleiteten die Pfade.
Und plötzlich stand er vor ihr, der Blume, dem roten Blümelein, wie es kein schöneres gibt auf der Welt. Der Kaufmann zitterte bei dem Anblick und der Duft strömte betörend aus und mit freudiger Stimme rief er: "Das ist sie!" Und er lief darauf zu und brach sie.
Im selben Augenblick fuhr aus dem strahlend blauen Himmel ein Blitz hernieder, Donner grollte und die Erde bebte. Und miteins stand ein Untier vor dem Kaufmann, ein zottiges, furchterregendes Wesen mit wilder Stimme:
"Was hast du getan!" Und von allen Seiten kreischte es: "Ein früher Tod ist nun deine Strafe!"
Von allen Seiten krochen Unholde auf ihn zu. Der Kaufmann fiel auf die Knie vor dem Untier:
"Oh Gebieter – oh ehrenwertes Plumptier – wie soll ich dich Wesen nur nennen – ich weiß es nicht, ich ahne es nicht! Doch bitte erbarme dich meiner Seele. Ich hab das Blümelein doch nur für meine Jüngste, meine holde, liebste Tochter gepflückt! Lass mich von dannen zu meinen drei Töchtern ziehen und bitte, lass mir nicht nur das Leben, sondern auch das Blümelein!"
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Wir wissen, wie die Geschichte weiter geht.
Das Plumptier verlangt im Gegenzug eine der drei Töchter und der Vater fragt, wie soll das gehen, und das Plumptier sagt:
"Will keine Gefangene sehen, soll aus freien Stücken kommen, und will keine von ihnen, dann kommst du selbst zurück und erleidest den Tod. Den Weg zu mir weist dieser Ring; wer ihn auf dem kleinen Finger trägt und dreht, gelangt im Handumdrehen zu mir. Drei Tage und drei Nächte gebe ich dir Zeit."
Und so bekam der Kaufmann den Ring und stand unvermittelt auf seinem Hof, gerade, als die vielen Karawanen seiner Waren - begleitet von den treuen Dienern - ankamen.
Die Töchter sprangen auf von ihren Stickrahmen und begrüßten den Vater und merkten bald, dass Kummer ihn plagte. Die Ältesten glaubten, er hätte Verluste gemacht und bedrängten ihn, davon zu reden, doch die Jüngste merkte wohl, dass es ein anderer Kummer war.
Und der Vater sagte: "Heute wird gefeiert, meine lieben Töchter, fragt mich morgen erneut."
Und er ließ zwei eisenbeschlagene Truhen kommen, darin waren die Krone und der Spiegel und er überreichte die Geschenke; und der Jüngsten gab er den Krug, in dem die schönste Blume der Welt ihren Duft verströmte und für Entzücken sorgte. Doch die Jüngste fing an zu zittern und Tränen rannen ihr aus den Augen.
Bald setzten sich alle an den reich gedeckten Tisch und das Haus des Kaufmanns füllte sich mit Gästen und auch mit Schmarotzern, doch der Nachschub auf dem Tisch endete nicht. Woher das alles kam? Nur der Kaufmann konnte es wissen.
Am nächsten Morgen bat er eine Tochter nach der anderen zu sich und natürlich schlugen die zwei ältesten die Rettung des Vaters aus: "Mag den Vater die Tochter erretten, der er das rote Blümelein gebracht." Und während alle wehklagten, tat die Jüngste, was zu tun war und tröstete obendrein ihren Vater, sie würde wiederkommen!
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So also steckte er ihr den Ring zur Stunde des Abschiedes an den kleinen Finger und – sie war verschwunden – mitsamt allem .. und erwachte im goldenen Schloss. Die Musik, lieblicher als jemals gehört, drang an ihr Ohr und sie lag in einem himmlischen Bett mit seidenem Behang und Bezug und doch war es ihr, als würde sie schon Jahrein, Jahraus hier gelebt, und sich nur zu kurzem Schlummer ausgestreckt haben. Und sie sah all ihr Hab und Gut bei sich, auch den Krug mit dem roten Blümelein und fühlte sich beinahe gut!
Ja, es war ein ungeheurer Prunk: die Gewänder, die für sie bereit lagen, der Tisch aus Malachit. Kostbare Sofas und Sessel luden zum Verweilen ein und wunderliches Spiel war überall zu finden und sie dachte bei sich: "Hier also werde ich nun leben!"
Und nachdem sie alle Zimmer und Kammern besehen hatte, trat sie in den Garten, das rote Blümelein in der Hand. Und sie ging durch den Garten und alles schien ihr zugeneigt und vertraut und sie fand den Hügel, den der Vater beschrieben hatte, auf dem er das Blümelein brach, und sie wollt’s wieder einpflanzen – da flog es ihr aus der Hand und wuchs am Stengel wieder an und blühte noch schöner!
Zurück im Gemach an der marmornen Wand standen folgende Worte in Flammenschrift, gesendet vom Plumptier: "Will nicht dein Gebieter sein, will dein treuer Sklave sein, sollst fortan meine Herrin sein, jeden Wunsch erfüll ich dir!"
Und als die Schrift erlosch, hatte sie den Wunsch, einen Brief an den Vater zu schreiben, und schon lag das Briefpapier bereit und eine Feder mit goldenem Kiel lag neben einem Tintenfass. "Beweint mich nicht, beklagt mich nicht – es geht mir so und so.." Und kaum hatte sie den Brief beendet, war er auch schon aus ihren Händen und ihrem Blick entschwunden. Da könnte man glatt wieder die Metapher von Krone und Spiegel aufnehmen. Krone – Elektrizität. Spiegel – Schönheitsoperationen. Marmorne Wand mit Flammenschrift - Bildschirm und E-Mail.
Nun, das Schlaraffenland-Leben begann und ich nehme an, sie nahm ordentlich zu bei der Beschreibung all der Speisen und kargen Bewegung, denn selbst im Garten sprangen ihr die Früchte von selbst in den Mund. Und in Flammenschrift fragte das Plumptier: "Gefallen meiner Herrin ihre Gärten und Säle, alle Speisen und Diener?"
Diener?
Und die Jungfrau sprach: "Nenne mich nicht deine Herrin mehr, sei mir gütiger Behüter. Werde dich niemals verlassen, nur .. bitte verstehe .. ich bin überall allein!"
Das Plumptier hatte jedoch längst schon vorgesorgt und ihre Lieblingszofe geholt, und als die Jüngste ins Gemach ging, stand die Zofe schlotternd und ängstlich an der Bettstatt. Als nun aber die Jüngste auf sie zu kam und sie heftig umarmte, da war die Angst ausgestanden und die Frauen beredeten, was es zu bereden gab bis in die Morgenstunden.
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Nun: Kurzweil war Programm. Es gab Ausfahrten in Kaleschen und Glockengeläut ganz ohne Gespann. Es gab Musik und Essen und die Jüngste stickte und schrieb Briefe, schickte beides an den Vater und schenkte die besten Tücher dem Plumptier, das sie noch nie gesehen hatte, und doch schon süße, säuselnde Worte in der Schrift- und Sprachkonversation via Marmorwand mit ihm austauschte.
Und endlich war ihr das nicht genug – sie wollte ihn sehen, ja wenigstens hören und Gespräche mit ihm führen. Lange widerstand er ihrem Drängen, und dann stand da die Flammenschrift an der Wand: "Geh heute in den grünen Park und dort in deinem Lieblingspavillon sprich das Wort: Jetzt!"
Die holde Jungfrau ahnte ja nicht das Geringste, rannte los, setzte sich in den Pavillon und redete drauf los: "Fürchte nicht, mein Gebieter. Nach allen Wohltaten, die du mir erwiesest, schreckt mich nicht einmal das Heulen der wilden Tiere im Wald. Sprich mit mir ohne Furcht und ohne Bange!"
Und da jaulte und erdröhnte eine heiser geduckte Stimme so gewaltig an ihr Ohr, obgleich das Plumptier seine Stimme zum Flüstern abgesenkt hatte, und der Jungfrau gruselte es doch! Aber sie war wirklich tapfer und beherrschte ihren Schrecken und begann den herzlich klugen Worten des Plumtiers zu lauschen und verstand sich bald darauf, ihn gut zu hören.
Und nun redeten sie immerhin schon miteinander – aber sehen wollte sie ihn schließlich auch. Und sie insistierte solange, bis er seine Scham überwand und er bereitete sie auf den Augenblick vor: "Weil ich dich mehr liebe, als mich selbst, will ich deinem Wunsch nachgehen, wenngleich ich weiß, dass daran mein Glück zerschmettern kann. Komm in der Stunde der goldenen Abendsonne und sprich: Zeig dich mir! Wird es dann unerträglich sein für dich, so lauf in dein Gemach. Unter dem Kopfkissen findest du den Ring."
Und am Abend wartete sie sehnsüchtig auf die Stunde und sprach die Worte und da erschien er – da hinten – kreuzte den Weg und verschwand wieder in den Gartenbüschen; aber sie hatte ihn gesehen und ja, er war so furchterregend, dass ihr, ob sie wollte oder nicht, die Sinne schwanden.
Als sie wieder zu sich kam und lautes Schluchzen vernahm, fasste sie erneut Mut und sprach: "Zeig dich mir, ganz!" Und nun blieb sie bei Besinnung und sah ihn ganz.
Sie waren fortan unzertrennlich, wie gute Freunde. Sie aßen gemeinsam, sie gingen spazieren und redeten viel.
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Wie ging es weiter?
Die Jüngste träumte von ihrem Vater, dass er krank darniederlag und also bat sie das Plumptier, zu ihm reisen zu dürfen und er sagte: "Was bittest du mich so zag? Der Ring liegt in deinem Schlafgemach – eines nur musst du wissen! So du nicht pünktlich mit dem Glockenschlag nach drei Tagen und drei Nächten zurückkehrst, sterbe ich!"
Die Szene daheim ist schnell erzählt: Zunächst Überraschung, Geschrei und den Augen nicht trauen ob der Schönheit und des Prunks, das die Jüngste umgab.
Der Vater war nur krank vor Gram, die Jüngste nicht bei sich zu haben, und erholte sich dementsprechend schnell. Die Schwestern aber waren bald neidisch ob des Prunks und ob der Macht der Jüngsten über das Plumptier. Und am dritten Tag versuchten sie, die Jüngste zu überreden, da zu bleiben! "Mag er doch zugrunde gehen, ganz recht würd’s ihm geschehen!"
Die Jüngste aber war tugendhaft und bekam vom Vater Unterstützung in dieser Sache. Die Schwestern jedoch waren listig und verhinderten die Stunde, indem sie die Uhren zurückstellten (was uns eine Datierung des Märchens erlaubt, denn mechanische Uhren gab es seit dem 14. Jh., urkundlich erwähnt erstmals 1335 nach Christus) und das merkten weder die Diener, noch der Vater – nur der Jüngsten wurde es schwer ums Herz als die wahre Stunde kam. Und als endlich die Uhren die Stunde anzeigten, steckte sie den Ring rasch an den Finger und – kam zu spät.
Alles im Schloss war still – kein Vogel sang oder krächzte, kein Wasser sprang oder floss.
Sie lief hin zum Hügel, auf dem das rote Blümelein stand und da lag das Plumptier und hatte mit seinen Krallen das rote Blümelein gefasst. Schon war sie glücklich, denn sie glaubte, er schlummerte nur, doch nein, er lag da reglos! Und voller Schmerz rief sie aus: "Steh auf mein Freund, erwache, du mein Herzensmensch, ich liebe dich, du - mein ersehnter Bräutigam!"
Und da zuckten grelle Blitze vom Himmel und einer schlug mit tosendem Donner in den Hügel ein und sie verlor die Besinnung. Als sie erwachte, saß sie auf einem Thron und ein junger Prinz hatte seinen Arm um sie gelegt.
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Ja, es ist ein klassisches Märchen: Das Plumptier wird kein Gärtner, aber ein liebevoller, würdiger, zuvorkommender Mann.
Elf Jungfrauen waren schon da und es wird nicht gesagt, was ihnen geschah. Doch auch die Schwestern wurden nicht bestraft in diesem Märchen - ganz anders, als in anderen Märchen, ganz anders als in anderen Mythen. Es ging also gut aus! Und brauchen wir nicht gerade in diesen Zeiten mehr denn je den Sieg, und um dieses kämpferische Wort hier fruchtend zu befeuern, den Sieg der Liebe!
Ja. So kann ich geradezu nahtlos in die Mythenwelt hinabsteigen, denn dieses und viele andere Märchen bedienen sich des Sujets der Mythe um Amor und Psyche. Da kommen wir zu diesen beiden Bildern.
Psyche
.. ist die jüngste von drei Töchtern eines Gebieters. Alle Töchter sind schön, doch Psyche ist so schön, dass sie allerorten Aufsehen erregt und schließlich hören die Menschen auf, den Tempel der Aphrodite, auch bekannt als Venus, aufzusuchen. Und das ist nicht gut!
Aphrodite, oder Venus ruft ihren Sohn Amor und befiehlt ihm, seinen Pfeil gezielt einzusetzen. Psyche möge sich in eine abstoßende Kreatur, vielleicht in ein Wildschwein mit borstigem Fell und abstoßenden Hauern und stinkenden Hufen verlieben!
Amor aber kam in der Nacht, als Psyche schlief in ihr Zimmer, sah sie und wusste, dass sie wirklich schöner war, als seine Mutter und alle Nymphen obendrein - und als er sie so betrachtete, verletzte er sich mit seinem eigenen Pfeil. Psyche erwachte am nächsten Morgen, er war ja wieder fort, und irgendwie war ihr Leben anders. Sie war verliebt, aber in wen?
Der Vater schließlich ging zum Orakel von Delphi, denn sie wies alle Bewerber ab. Und das Orakel sprach, er müsse sie opfern an ein schreckliches Wesen, andernfalls bringe er Leid und Tod über sein Gebiet. Und die Schwestern drängen ihn, dem Willen der Götter, ausgesprochen durch das Orakel, nicht zu widersprechen.
Psyche sollte an einen Felsen gebracht werden und dort zur Abholung durch das Wesen bereit stehen. In Erwartung dieses Wesens wurde sie jedoch vom Westwind Zephir sanft gewirbelt und emporgehoben – und verlor doch die Besinnung, um dann zu erwachen an einem Ort, wie wie in dem Märchen, das wir gerade hörten.
Und unsichtbare Diener schenkten ihr ein, begleiteten sie und sprachen freundliche Worte: alles gehöre nun ihr, sie sei die Gebieterin über dieses Anwesen.
Am Abend geboten die Diener ihr allerdings, in das Schlafgemach zu gehen und ihren Herrn zu empfangen. "Ist er nicht ein Monster?" - "Nein, das ist er nicht", beruhigten sie die unsichtbaren Stimmen.
Und wie soll man es anders sagen: Er war wirklich Eros! In der Dunkelheit der ersten Nacht machte er alles richtig und begehrte und behütete sie wissend und liebend.
Am Morgen war er fort - und so ging es fort - und schließlich wollte sie ihn sehen, aber er verwehrte diesen Wunsch vehement.
Dennoch waren sie glücklich, nur wurde auch ihr Wunsch, die Familie wieder zu sehen, groß und größer und schließlich gewährte Eros ihr zumindest diese Bitte.
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Die Schwestern konnten das alles nicht glauben und Psyche nahm sie kurzerhand mit in den Palast. Alle drei wurden vom Zephir dorthin gebracht und der Neid der Schwestern wurde bös. Und sie sagten: "Ja, das alles mag wundervoll erscheinen, aber erinnerst du dich nicht daran, was das Orakel sagte: Eine Kreatur wird sich deiner bemächtigen. Das Opfer ist noch nicht vollbracht, also töte du es zuerst. Nutze die Dunkelheit der Nacht und töte es."
Wenngleich Psyche nicht darauf hören wollte, denn ihre Gefühle sagten etwas anderes, dann waren doch die Samen des Zweifels gesät und nagten an ihr. Und schließlich nahm sie eines Nachts die Öllampe und ein Messer. Und im Schein des Lichts, sah sie ihn – das Öl der Lampe tropfte auf ihn und er erwachte. Und wir wissen das ebenfalls aus vielen Märchen: Er war traurig und erbost und er flog davon. Sie versuchte ihn zu halten und stürzte ab und schließlich landete sie wieder auf dem Felsen, wohin sie einst gebracht worden war zur Opferung.
Seltsamerweise schienen die Schwestern von Gier zerfressen zu sein, denn sie begaben sich nun zum Felsen in der Hoffnung, der Westwind Zephir würde sie ins Schloss bringen und er fing auch an, sie zu tragen, doch dann fielen sie.
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Psyche war krank vor Schmerz über den Tod der Schwestern und das Leid, das sie somit ihrem Vater brachte und sie entschloss sich in den Dienst der Demeter zu treten.
Sie verrichtete ihre Arbeiten und dachte dabei doch unablässig an Eros.
Demeter dauerte das schöne Mädchen und sie gab folgenden Rat:
"Gehe zum Tempel der Aphrodite und zeige dich ihr. Sage, wie es um dich steht.
Du wirst die Pein der Göttin Aphrodite ertragen müssen, aber vielleicht haben deine und Eros’ Liebe doch Bestand!"
Und Psyche ging hin und Aphrodite stellte sie zunächst einmal vor - für Menschen schier unlösbare – Aufgaben; auch das ist ein Sujet, das in vielen Märchen genutzt wird, in denen Ameisen bei der Trennung von Hirse und Reis helfen, in denen das Hüten großer Rinderherden oder gar das Bringen der Wolle der goldenen Lämmer gemeistert wird und auch so etwas, wie das Wasser des Lebens holen, gelingt.
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Aber Aphrodite hatte noch eine Aufgabe für Psyche parat:
Sie solle in die Unterwelt absteigen und Persephones Schönheitssalbe holen. Und glücklicherweise wurde Psyche erneut von gütiger Götterseite geleitet und instruiert, wie sie es in die Unterwelt schaffen kann und wie sie Charon und auch die Höllenhunde passieren kann. Nur eines sollte sie nicht: niemals! Die Schachtel mit der Schönheitssalbe öffnen auf ihrem Weg zurück.
Nun, Hades und Persephone, das Paar der Unterwelt, empfingen Psyche jedenfalls und sie stellte sich als Beauftragte der Göttin Aphrodite vor, die darum gebeten habe, ein wenig Schönheit der Persephone für sich zu erhalten.
Ich denke, Aphrodite wusste, dass dieser Wunsch von Persephone niemals erfüllt werden würde und dass sie ihr stattdessen, etwas anderes – etwas Schädliches schicken würde. Und genau darauf setzte sie wohl. Sie dachte sich sicher auch, dass Psyche der Versuchung, ein wenig Schönheit nach all den Strapazen auch für sich nutzen zu können, nicht widerstehen könnte.
Und genau das geschah, denn Psyche sah ihr erschöpftes Antlitz im Acheron, als Charon sie zurück brachte und sie wünschte sich so sehr, ihrem Mann in voller Schönheit zu begegnen. Aber der Blick in die Kiste offenbarte den Todesschlaf. Und Thanatos, der Gott des sanften Todes, stand schon neben ihr, als Eros sie erreichte – doch die Kraft der Liebe und die seiner Flügel vermochten den Kisteninhalt aus Psyche heraus zu wedeln, wieder hinein in die Kiste.
Eros hatte sie errettet.
Und nun bat er höchstselbst im Olymp darum, Psyche in die Götterwelt zu erheben – und ja, er erhielt die Zustimmung von Zeus!
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Tja, nun tragen die Asteroiden 433 und 16 ihre Namen und soweit ich weiß, bekam Psyche nicht nur den Ambrosiatrank, sondern auch kleine Flügel geschenkt, denn das altgriechische Wort Psyche bedeutet: Hauch .. Atem .. Seele .. oder auch Schmetterling.
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Ja – und tatsächlich wandere ich nun den Bildern gemäß reihum. Denn so einen Hauch mag man auch jenem Bild dort entnehmen: Die Jadefrau, die da im Wasser watet mit nackten Füßen.
Und hier muss ich ein bisschen ausholen: Es gibt eine Novelle von Pu Song Ling, die heißt: Die Kurtisane und der Student. Und da gibt es ein Gedicht, dass die berühmte Kurtisane für den Studenten schrieb:
Warum klopfen frühmorgens Wasserheischende
an das Tor des Brückenzolls von Lantian?
Falls sie den Jaspis Stößel suchen wollen,
der ist bestimmt allein im Menschen selbst.
An dem Ort in diesem Gedicht der Kurtisane wurde Jahrhunderte später der Lantian-Mensch gefunden, einer, der dem Homo-Erectus zugeordnet ist.
Dieser Ort Lantian allerdings, hat im Gedicht der Kurtisane mehr Beduetung aufgrund des dortigen Flussbettes. Denn in dem Gedicht heißt es ja, dass die Wasserheischenden den Jaspis Stößel suchen.
Warum sucht man einen Jaspis Stößel?
Nun, der Jaspis ist der chinesische Begriff, der zuerst da war, wenn es darum ging, Jade zu bezeichnen. Man meinte also Jade, wenn man sagte Jaspis. Heute bezeichnet Jaspis fast ausschließlich diesen roten, eisenoxydhaltigen Stein und Jade ist dieser grüne. Dieser grüne Jaspis:
Er ist die Essenz aus Himmel und Erde, sagt man in China.
Er ist die Mutter aller Edelsteine, sagt die Bibel.
Und Bevor Jaspis, also Jade, in Minen abgebaut wurde, um sowohl zu Schmuck, als auch zu Werkzeugen – dem Stößel - verarbeitet zu werden, wurde er in Flussbetten gefunden.
Und legendenhaft erzählt man sich, dass im alten China die Frauen mit nackten Füßen in den Flussbetten wateten, um die Steine zu erfühlen. Bei der Berührung mit dem Stein entsteht ein besonderes Gefühl von Sanftheit und Seide. Die Frauen können das fühlen, sagt man. Wie lustvoll das ist!
Als Jaspis dann in Mienen abgebaut wurde, war das Leid bereits in vollem Gange. Die Verbindung von Himmel zu Erde über fühlende Füße ist gekappt. Städte wachsen und umschlingen das Gestein. Und aller Sand wird hier gebraucht - nicht der Strandsand und nicht der Wüstensand, die beiden eignen sich nicht zum Bau von Straßen und Städten. Woher also nehmen, all das edle Gestein?
Mehr und mehr Erde geht der Erde abhanden. Auf welchem kargen Boden soll das Maßliebchen denn gefunden werden, um den Liebesreim zu zählen? Das vertrocknete Mas, das Feld, braucht Wasser.
By the way: Das Blümchen heißt auch Margarita, das steht für Perle, und Aphrodite selbst wird mit ihr, der Perle, der ewig Schönen in Verbindung gebracht. Und alles Schöne braucht Wasser. Und hat nicht Aphrodite Psyche unter anderem beauftragt, das Wasser des Lebens zu holen? Psyche bekam dabei Unterstützung von Zeus selbst, in Form eines Adlers. Und wie kommen wir Menschen an das Wasser des Lebens?
Nun - die Städte werden kompakt sein müssen, damit die Birken wieder ihre Pionierarbeit leisten können.
Die Birke braucht zunächst nur Licht und besiedelt harten Fels und karges Land genauso gut, wie saures Moos. Das Wenige, was sie an Mineralien braucht, lässt sie sich von Pilzen erschließen.
Sie wird nicht alt wie ein Baum, sondern alt, wie ein Mensch und räumt dann den Platz, den sie geschaffen hat: Unter ihrer Krone selbst lässt sie keinen eigenen Sämling wachsen; die fliegen hinaus und besiedeln das Land zur Vorbereitung auf den Wald.
Und der Wald ist die Wiege des Wassers.
Bäume im Wald nehmen Wasser vom Boden auf und entziehen dem Boden damit Wärme. Das dann kühle Tauwasser kann physikalisch nicht über wärmerem Wasser sein, also steigt neues, wärmeres Wasser aus dem Boden herauf – Der Wald bringt Quellen hervor und das Wasser beginnt seine Reise, wo immer möglich beschattet von der Vegetation oder in lichtbrechender Spiralbewegung fließend, sozusagen unter dem Radar der Sonne, hin zum Meer. Und für gewöhnlich ist dort einer dieser Erdenkreisläufe geschlossen; es gibt Verdunstung und Wolken und Regen – oder aber, der Kreislauf ist kein Kreislauf mehr!
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Und das Ausmaß von Übermaß ist Schaustück hier auf Erden.
Handelsschiffe mit Tulpenzwiebeln fuhren über das Meer. Die Tulpe ist keine Niederländerin. Sie ist Lalè. Ihr Name ist Klang und schon im 11. Jh. in Persien bekannt. Dort gilt sie als Liebeserklärung – eine stolze Schöne – die von Hafis, dem persischen Dichter, besungen wurde: "Seht, oh seht die Tulpenstengel, diese frechen Ketzerlein. Heben ihre bunten Becher und begehren Trank und Wein." Das klingt nach Liebeslust.
Später hielt sie Einzug in die Türkei und wurde dort zum Statussymbol für Reichtum und Wohlstand der Sultane.
Sie hat ihre luxuriöse Bedeutung bis ins 18. Jh. immer weiter steigern können.
Die Niederländer, wo die Tulpe im 16. Jh. einen Wahn auslöste, tauschten ganze Häuser und Schiffsladungen gegen ein paar Zwiebeln. Da waren Lust und Leid nah beieinander und welch ein Glück, dass scheint’s die einfachen Leute den größten Menschenverstand besitzen, denn unter den einfachen Leuten schlich sich die schöne Lalè als Frühlingsblume, und damit wieder Sinnbild der Liebe, in die Herzen der Menschen zurück.
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Und hier baut die Dryade die Brücke – zwischen Wahrheit und Mythos.
Man sagt, die Dryade ist das Symbol für die Fähigkeit, auf eigenen Beinen zu stehen und in der Verbindung von Wurzel zu Baumkrone stellt sie alles Zyklische und alles Materielle im Prozess von Werden und Vergehen dar. Und die Dryade gilt sozusagen nicht nur als Baumgeist, sondern auch als Göttin, die, deren Gerechtigkeit sich weithin erstreckt.
Und auf dem Marktplatz steht ein Mädchen, sie war schlicht gekleidet und sprach die Leute an, aber die Leute schauten zu Boden, gingen an ihr vorüber, schienen sie nicht zu beachten. Gegenüber auf dem Marktplatz aber, da stand eine Frau – in einem reich geschmückten Gewand mit Umhang und in schöne Farben gekleidet. Und sie sprach mit voller Stimme, säuselnd und gurrend und herzhaft lachend. Alle hörten ihr zu, eine Traube von Menschen stand um sie herum.
Da ging das Mädchen hinüber und sprach diese Frau direkt an: "Warum hören dir alle zu. Warum gehen an mir alle vorüber und senken den Kopf! - Wer bist du?"
Und die Frau sah sie gütig an und fragte: "Sag mir, wer bist du?" - "Ich", sagte das Mädchen, "ich bin die Wahrheit!"
- "Ah", sagte die Frau. "So also, bist du es!" Und sie öffnete ihren Umhang und winkte das Mädchen zu sich. "Komm her, sei bei mir. Ich bin das Märchen und in all meinen Geschichten bist du vorhanden."
Dreiheitenwandel
Das Bild entstand vom 24. März bis zum 22. April 2020 infolge eines Aufrufs von ArtBox Zürich zur Ermutigung der Künstler, 30 Tage lang jeden Tag ein Thumb-Nail zu malen, je ein Minibild in einem vorgegbenen Format. Dieser innere Bereich des Bildes wurde dann mit allen anderen zusammen zu einem großen Pixelbild gestaltet und in der Ausstellung am Züricher Bahnhof 2020 gezeigt.
Textbezüge
Das rote Blümelein - Märchen russischer Schriftsteller
Die Heirat der Kurtisane - Novelle von Pu Song Ling aus dem 17. Jahrhundert
Der Geist der Bäume - Fred Hageneder
Wikipedia
APATHIE
Sergei Timofejewitsch Aksakow
Pu Song Ling
Weiteres
Die Lust- oder Kraftkarte im Tarot
Die Dryade Euridike
Mit Dank vorab für Empfehlungen!
Herzliche Grüße
Anke Ilona Nikoleit
Zuwendungen nehme ich frank und frei mit Dank entgegen.
Jede Einzahlung wird (entkernt von Umsatzsteuer und Gebühren) zum Honorar.
Für Konto zu Konto Überweisungen, gebe ich Ihnen die Kontodaten separat. Ansonsten gern über PayPal an maerchen@kjui.de oder unmittelbar hier über den folgenden Zugang. Beide sind direkt mit meinem Geschäftskonto verbunden.
Die zugehörige Quittung oder Rechnung stelle ich bei Bedarf gern aus.