KJUI Podcast - Pegasus und Ewigkeit

Sternstunde Pegasus

Audio kompakt


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Es ist Herbst.
Jedenfalls ist er in diesem Jahr, 2023, seit dem 23. September um 8.49 Uhr amtlich. Auch wenn er noch für ein paar Tage sehr sommerlich daher kam, steigt die Sonne nunmehr mäßig an und das Tageslicht wird sanft, die Farben prächtig. Die Nächte sind länger und kühler und wenn die Sterne sich zeigen, ist am Himmel nun statt des Sommerdreiecks das Herbstviereck zu sehen.

In Bezug auf das Sommerdreieck hat sich, wie im Podcast "Sternstunde Tanabata" schon beschrieben, eine japanische Legende chinesischen Ursprungs etabliert, die in Teilen und Metaphern dem Themenkreis um Eros und Psyche, griechische Mythologie, angehört. Das zugehörige Sternenfest, Tanabata, hat sich bis in die heutige Zeit auch über den asiatischen Raum hinaus erhalten und es gilt, Wünsche zu senden, Wünsche für die Liebenden, auf dass sie die Lichtbrücke überqueren können. Die drei beteiligten Sterne tragen bildreiche arabische Namen:

Für das Herbstviereck ist die Bildsprache der beteiligten Sterne noch deutlicher und das Viereck selbst bildet sich markant am Himmel ab. Seine hellen Sterne tragen diese Namen:

Nun, dieses markante Viereck wird auch Pegasusquadrat genannt.
Das weiße Pferd Pegasus gallopiert also am Herbsthimmel, Andromeda hängt an seinem Bauchnabel, wir hier von der Erde aus sehen das ganze über Kopf und die zugehörigen Legenden sind griechischen Ursprungs. Neben Pegasus und Andromeda tummeln sich auch Kassiopeia, das Himmels-W, und Kepheus, dieses spitz zulaufende Trapez mit einem kurzen Fähnchen auf der stumpfen Seite, und auch Perseus, schwer zu beschreiben, wie eine Trittleiter vielleicht, ganz im Umkreis des Herbstvierecks.

Und das passt, denn alle gehören zu einer Geschichte! Andromeda, die Tochter von Kassiopeia und Kepheus, wird nämlich von Perseus gerettet, indem er das Medusenhaupt schwenkt und so das Untier, dem die Andromeda geopfert werden soll, zu Stein erstarren lässt.

Der Sage nach ist Pegasus das Kind des Meeresgottes Poseidon und der Medusa.

Demnach war Medusa einst ungeheur schön und wurde von Poseidon, dem Meeresgott, begehrt und verführt. Nicht nur Zeus, der weithin bekannt war für seine Eskapaden, nein auch Poseidon hatte Frevel auf dem Kerbholz und das erfuhr ich in der Geschichte, die sich um die Arachne rankt. Ihre zentrale Geschichte ist die des Wettstreits am Webstuhl zwischen Arachne und der Göttin Athene. Athene webte einen kunstvollen Teppich, auf dem sich all die Hybris-Geschichten wiederfanden, die sich die Menschen gegenüber den Göttern erlaubten, und wie sie dafür bestraft wurden. Arachne webte ihrerseits einen Teppich, der sich nicht nur in der Kunstfertigkeit des Webens mit dem der Göttin messen konnte, sondern darüberhinaus in der Darlegung aller göttlichen Verfehlungen. Und dabei wurden eben nicht nur Zeus, Appollon und Dionysos, sondern auch Poseidon abgebildet. Sie zeigte ihn als Stier der Arne von Thessalien hinterhergallopieren, als Enipeus maskiert die liebliche Tyro täuschen und schließlich als Delphin auch Melantho, Tochter des Königs Deukalion, zu nehmen.

Die üblichen Versionen über Poseidon geben das, bis auf die Geschichte um Tyro, nicht so eindeutig her.

In Bezug auf Medusa gibt es schon von Grund auf Klärungsbedarf, denn eigentlich ist sie ja eine der drei Gorgonen im Stammbaum der Götter, dort in der dritten Generation. Gaya, die Mutter Erde schlechthin, erste Generation, hatte demnach mit Pontos, einem Seegot, ein Geschwisterpaar gezeugt und dieses Geschwisterpaar der zweiten Generation nun wiederum hat die drei Gorgonen-Schwestern zur Welt gebracht, die allesamt mit Schlangenhaaren und dem Versteinerungsblick geboren wurden. Der einzige Unterscheid zwischen Medusa und ihren Schwestern soll darin bestanden haben, dass sie sterblich, also angreifbar war. Genau da ist wohl die Lücke, dass sie tatsächlich erst einmal einfach eine Frau gewesen sein kann und zudem wunderschön. Als ob das nicht schon genug Verwirrspiel wäre, gibt es noch einen ganz anderen Hinweis bei Stephen Fry undzwar auf Seiten der von Athene in den Teppich gewebten Hybris-Bilder. Da ist von Antigone die Rede, die sich mehr denn göttlicher Schönheit rühmte und zur Strafe dafür eben jene Schlangenhaare bekam. Wer ist diese Antigone, die da auf dem Teppich erscheint? Es kann doch unmöglich die sein, der Sophokles in der Ödipus-Trilogie den dritten Teil widmete. Der Ausruf: "Oh du verrückte Götterwelt!" reicht hier nicht aus. Die Hybris-Menschen-Götter-Frevel-Verrücktheiten sind ein Knäuel eigensinniger Fäden und doch geben sie uns Blick in Tiefen und Halt in Höhen und zeigen uns die Kreisläufe der Ewigkeit.

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Gehen wir zurück zu den Sternenbildern rund um das Herbstviereck.

Pegasus ist also das Kind der Medusa und des Poseidon. Medusa, die wunderschöne Gorgonin, der keiner widerstehen konnte, die im Tempel der Athene als Priesterin diente, wurde auch von Poseidon begehrt. Der entscheidende Akt soll im Tempel der Athene stattgefunden haben und das fand diese gar nicht gut. So war sie wütend und bestrafte … na wen wohl, Medusa, nicht etwa Poseidon. Und sie bestrafte sie so, dass sie ihr diese Schlangenhaare und das elende Antlitz gab und zudem stülpte sie ihr den Fluch über, dass alle, die sie anschauten, versteinerten.

Warum aber ist Pegasus, das Kind der beiden, ein Pferd?
Weil der ungestüme Poseidon nicht nur der Gott des Meeres, sondern auch der Pferde ist und laut Hesiods Theogonie hatten Poseidon und Medusa beide die Gestalt von Pferden angenommen. Ich meine mich an eine Version zu erinnern, da sie zum Schutze vor seiner Verführung in eine Stute verwandelt wurde, nur von wem? Von Zeus? Poseidon jedenfalls konnte genau das ausnutzen, sich selbst in ein Pferd verwandeln und unbemerkt zu ihr gelangen.

Laut Ovids Metamorphosen sind sie keine Pferde, sondern einfach Medusa, die Priesterin im Tempel der Athene, und Poseidon, der Meeresgott, der sie begehrt und im Tempel der Athene überwältigt.

Nun, welche Göttergeschichte die richtige ist, kann ich nicht sagen. Bleiben wir dabei, dass es Medusa gibt, entweder so geboren oder so von Athene bestraft.

Ausgerechnet Perseus, der Sohn des Zeus, wurde a) von Athene b) von Polydektes, Pflegvater des Perseus und König von Seriphos, ausgeschickt, die Medusa zu enthaupten. Die eine wollte Medusa gänzlich loswerden, der andere wollte Perseus loswerden.
Wir wissen: Das mit der Enthauptung hat geklappt und aus dem Rumpf der Medusa flog dann das weiße, geflügelte Pferd hervor. Und weil Medusa nur ein einziges Mal intim war, nämlich mit Poseidon, ist dieses Pferd nun mal das Kind der beiden; fliegend geboren flog es aus der Mutter Wunden heraus und man sagt, es kam noch ein Zweiter hervor, nämlich der Krieger Chrysaor mit dem goldenen Schwert.

Das weiße Pferd Pegasus ist faszinierend. Er ist sanftmütig und vermag tiefe Wunden zu heilen, denn es kann fliegen und weil es gegen den Fluch der Versteinerung immun ist, kann es dabei helfen, sich aus Erstarrung heraus zu lösen. Zudem wurde es von den Musen am Berge Helikon aufgenommen und von ihnen aufgezogen. Es hat also ein wunderbares Fundament an Wissen und Weisheit, wie man es nur von den Musen bekommen kann.


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Mein Pegasus ist eine Cyanotypie, eine Technik, bei der das Motiv bei Sonnenlicht verblasst und sich im Zuge der Nacht wieder erholt, gerade so, wie das Sternenbild am Himmel. Das Bild - Motiv (40 x 28) cm auf Karton, in steingrauem Passepartout, im Holzrahmen in Spezialanfertigung mit Glas UVS70% - ist bis dato unverkäuflich. Bis dato.

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Der Sternenhimmel zeigt uns also auf seine Weise die Geschichten der Menschheit und der Welt. Viele sind, wie man erkennt, miteinander verwoben, weisen gleiche Erzählmotive auf und zeigen das sogar im Namen der jeweils anderen Sprache.


Es kommen aber auch verschiedene Bildinterpretationen zustande für ein und dasselbe Sternenmuster. So war das Herbstviereck im alten China in zwei Figuren getrennt. Demnach war die rechte Seite einer der vielen Paläste des Herrschers und die linke Seite galt als seine Bibliothek.

Auch in dieser Bibliothek stand sicher schon ein Buch, das den Herbst als eine der vier meteorologischen und astronomischen Jahreszeiten beschreibt und ihn als Zeit der Ernte und des Blätterfalls kennt. Drastischer formuliert geht es ums Vergehen, um das Ende.
Da prasselt die Melancholie schnell auf uns nieder und die Frage nach dem ewigen Leben stellt sich kurz und kräftig vor uns auf und zeigt - so hoffentlich doch - die Einsicht in die ewigen Kreisläufe der ganzen Welt. Schnelle und einfache Erkenntnis hier wie folgt: Der König und die Sterblichkeit, eine Geschichte aus China.

AUDIO

Ewig leben!

Einstmals ritt ein König mit seinen Leuten aus. Auf einer Bergkuppe machten sie Rast.
Der König schaute weit über das Land hin und lächelte voller Freude. Es war ein wohlhabendes Fleckchen Erde geworden und seinem Volk ging es gut. Ja, er durfte stolz sein auf all das.
Aber da befiel ihn plötzlich ein schrecklicher Gedanke und den sprach er laut aus: „Eines Tages werde ich sterben und das alles hier verlieren müssen."
Seine Gefolgsleute hielten inne, und dann fielen sie in die Klage des Königs ein:
"Ach! Sterben müssen ist so grausam!" Und sie dachten daran, was sie alles zurücklassen würden: ihre Familien, ihre Reichtümer und Ehren. Nur ein Edler unter ihnen schwieg.
"Ich wünschte, ich könnte ewig leben, das wäre wunderbar!" rief jetzt der König aus.
Wieder nickten ihm seine Leute bestätigend zu. Nur der schweigende Edelmann lachte still in sich hinein, so dass die anderen verwundert nach ihm schauten.
Aber der König fuhr fort: "Denkt doch bloß an all die Jagdgesellschaften und all die Feste, die wir genießen könnten ohne Furcht vor dem Tod." Da seufzten alle und malten sich die Freuden der Unsterblichkeit aus; nur der kühne Edelmann lachte wieder. Seine Gefährten wandten sich zu ihm: "Was ist am Tod so lustig, wünschst du dir keine Unsterblichkeit?" Doch der Edelmann schwieg.
Der König aber sprach weiter: "Ewig leben so wie jetzt in der Blüte unserer Jahre, das wäre ein wahrer Segen. Das wäre unendliches Glück." Alle im Gefolge nickten und stimmten dem König zu, nur der Edelmann schmunzelte wieder.
Jetzt wandte sich auch der König ihm zu: "Was ist daran so lustig? Was gibt es bei Tod oder Unsterblichkeit zu lachen?" Der Edle verneigte sich und sprach: "Ich will gewiss Niemanden beleidigen, Herr, aber ich habe mir bildlich vorgestellt, was wäre, wenn alle ewig lebten."
Er machte eine Pause.
"Alle Helden der Geschichte wären noch am Leben; der König, der einst unser Reich geeint hat, der König, der hier Recht gestiftet und das Land befriedet hat und all die großen Weisen und Propheten unseres Volks. Gemessen an denen wären wir nichts als Bauern und würden die Felder bestellen. Und ihr, Majestät, wärt ohne Zweifel gerade mal ein Provinzschreiber."
Der König starrte den Sprechenden an und keiner der anderen wagte zu atmen. Aber dann lachte der König laut und kräftig. "Du bist weise und mutig, mein Freund und du sprichst die Wahrheit." Dann wandte er sich zu den anderen: "Zur Strafe, dass ihr mich in meiner Eitelkeit bestärkt habt, zahlt mir jeder zwei Runden Wein!"
Er umarmte den lachenden Edelmann und befahl: "Und du, mein Freund, du darfst - sollte ich wieder einmal über meinen Tod jammern - an mich heran treten und mich Provinzschreiber nennen!"


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Michael Pommerening hat dieses Bild der Ewigkeit einmal in einer Laudatio treffend formuliert undzwar in der Laudatio zur Ausstellung meiner Bilder in der Galerie im Trafo Häuschen in Regenmantel. Da sagte er:

"In ihren Bildern finden wir einen Teil der tausendjährigen Suche der Menschen nach dem WOHER und WOHIN, dem Versuch der Dunkelheit des Wissens zu entfliehen, aber auch die Erkenntnis von der Schönheit des Lebens."

"Märchen sind .. die in Geschichten geronnene Lebenserfahrung der Menschen, die ewige Hoffnung auf ein Happy End, .. sie werden euch überdauern und von euch erzählen, wenn ihr schon lange nicht mehr durch diese irdischen Gärten wandelt."


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Hinweise und Quellen

Buch/Zeitschrift
Stephen Fry - Was uns die Götter heute sagen - Aufbau Verlag
Märchenforum, 60. Ausgabe - Winter 2013/14 - once upon a midlife


Die Götter - Poseidon und Athene
Einhorn-Welt-Blog - Pegasos
Fabelwesen - Medusa
Fabelwesen - Minotaurus
Hellenicaworld - Chrysaor
Hellenicaworld - Teiresias


Wikipedia
Tyro
Liste griechischer Sagen


Google
Herbstviereck


Verweise intern auf KJUI.de

Podcast "Sternstunde Tanabata"

Amor und Psyche

VIDEO Tanabata 2020

VIDEO Tanabata 2014


Mit Dank vorab für Empfehlungen!

Herzliche Grüße
Anke Ilona Nikoleit


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