Anke Ilona Nikoleit - Art Galerie - Erzählung und Malerei

Eigenwelten

Text: von Sigrid Fontana


Verschlungene grün weiße Serpentinen durchziehen eine lichte Gebirgslandschaft in graublau und rosa. Wie ein weiser Buddha ruht „Kaboi“ aus dem Volk der Unterwelt im Grunde einer erdigen Schlucht. Der in Öl ausgeführte Ahnherr der Karaja stammt aus den Mythen Brasiliens. Vor leuchtend blauem Hintergrund erhebt sich dynamisch „Ammit“ mit dem Maul eines Krokodils, der Mähne eines Löwen und dem Hinterteil eines Nilpferds. Dieses Wesen der ägyptischen Unterwelt frisst alle Herzen, die schwerer wiegen als die Feder der Göttin Maat. Eine sepiafarbene kolorierte Cyanotypie zeigt ein verendetes Rind, das den Hunger zweier Raben stillt. Im nachtblauem Himmel schützt ein dunkel gefiederter Vogel eine gelb gewandete japanische Eisprinzessin in seinen Schwingen.

Vergänglichkeit und Wandel, die Mythen, Märchen und Legenden der Völker dieser Welt thematisiert die Künstlerin Anke Ilona Nikoleit, deren aktuelle Arbeiten seit dem 29. September in der FLEXIM Galerie zu sehen sind. Der Rundgang über zwei Etagen öffnet den Raum zwischen Wahrheit und Mythos - Ereignis und Struktur. Ein Audioguide und QR-Codes und jeweils ein Gastbild erläutern den Betrachtenden die Hintergründe und Geschichten zu dem Gesehenen. Anke Ilona Nikoleit entwickelt anspruchsvolle Kollagen thematisch ähnlicher Märchen aller Kontinente und lässt so neue Gleichnisse entstehen. Sie verstrickt Auge und Ohr, indem sie ihre Bilder mit Geschichten verknüpft.

Anke Ilona Nikoleit, Jahrgang 1964, aufgewachsen in der Prignitz, gelernte Schlosserin für Landmaschinen, studierte Diplom Ingenieurin der Technologie der Instandsetzung, Wahlberlinerin und Mutter zweier inzwischen erwachsener Söhne, arbeitet dreizehn Jahre im Vertriebsinnendienst bei FLEXIM. Sprache und Stimme interessieren sie immer mehr. 2008 besucht sie erste Workshops und Trainings in Sprecherziehung und künstlerischem Erzählen, beginnt nebenberuflich eine Ausbildung zur Erzählerin bei Danka Rubarth und sammelt erste Praxiserfahrungen auf den Berliner Märchentagen. Eine posthume Ausstellung zu Ehren von Professor Heinrich Tessmer in der FLEXIM Galerie wird zum Wendepunkt in ihrem Leben. Anke Ilona Nikoleit kauft sein Werk „Kleiner König“ und möchte diesem Gemälde eine Königin zugesellen. 2016 wagt sie den Sprung in die Selbstständigkeit als freie Künstlerin und Märchenerzählerin, entdeckt für sich Farben und Leinwand und beginnt autodidaktisch ihre Geschichten auszumalen. Sie beweist ihr Können bei vielen Märchenveranstaltungen und -projekten und etlichen Ausstellungsbeteiligungen.

Einige ihrer Werke wirken auf die Entfernung wie mit kräftigen Kreideschichten mattiert. Bei näherer Betrachtung zeigen sich grobe Körnungen, die durch eine Grundierung aus Marmormehl mit Acryl entstanden sind und mit Öl akzentuiert werden. Anke Ilona Nikoleit arbeitet intuitiv aus der Farbe heraus. Aufgetragen in unzähligen Schichten, dominieren neben unterschiedlichsten Rot- und Braunschattierungen strahlende Blau- und Grüntöne mit gelb goldenen Lichtakzenten. Sie experimentiert mit verschiedenen Materialien und Techniken und untersucht Fließverhalten und Reaktion der Öl-, Acryl-, oder Tuschfarben auf ungewöhnlichen Untergründen wie auf gespannter Latexfolie oder Plexiglas. Daneben entstehen Monotypien, kolorierte Cyanotypien oder Kaltnadelradierungen, auch mal auf ausgemusterten CDs.

Hinter den Zahlen 433 und 16 verbergen sich die von Astronomen nummerierten Asteroiden Eros und Psyche aus der griechischen Mythologie. Gott Eros auf rotem Latex mit weißer, sepiafarbener, schwarzer, grüner und roter Tusche und Tinte gemalt, wirkt wie ein in die Oberfläche eindringender Wirbel. Licht, Hitze und Bewegung wellen den Hintergrund, lassen Risse entstehen und Farben verblassen. Um dem Prozess des Vergehens aufzuhalten, hat die Künstlerin ihr Werk abfotografiert, auf Leinwand ausgedruckt und das Original mit glänzend spiegelndem Epoxid überzogen um es zu konservieren. Die irdische Psyche räkelt sich lasziv auf rotem Hintergrund und scheint sich mit Eros zu vereinigen.

Als meditative Spielerei entstehen aus Herz und Intuition heraus Werke wie der ausdrucksstarke Stadtzyklus „Ereignis und Struktur“ mit den vorherrschend blauen Arbeiten „Stadtmutter mit Kindern“, „Emil“ sowie „Stadt und Wein“. Farbenprächtige Blüten in einer blauen Schale transformieren zu Feenstaub. Anke Ilona Nikoleit erlaubt sich eigene Sichtweisen, stellt sich unbequemen Wahrheiten, erprobt ihre Ideen und setzt sie um in Bild und Ton. Sie verbindet Kunst und Mythos und folgt dem Leitsatz des Gastbildes von Samuel Wiesemann: Jeder Mensch ist ein Künstler und ermöglicht so, dass jeder König seine Königin finden kann.

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